"Sa Rua", so wird der große Karnevalsumzug auf Mallorca genannt, im Gegensatz zum "Sa Rueta", dem Kinderkarneval, die beide über die Faschingszeit verteilt in allen größeren und kleineren Orten der Insel stattfinden.
Jeden Faschingssonntag findet in Palma de Mallorca ab 17 Uhr der große Umzug mit lebhafter Beteiligung der Mallorquiner statt. Lustige Gruppen, verkleidet nach einem bestimmten Motto, ziehen von der Avenidas Alemanya und Comte Sallent kommend durch die Straßen Rambla, Carrer de la Riera, über den Plaça Weyler, die Carrer Unió, den Plaça de Joan Carles I entlang und die Avenida Jaume III hinauf.
Der Abschluss findet am Passeig Mallorca statt, wo Preise an die Teilnehmer vergeben werden. Danach beginnt das Fest erst so richtig. Auf vielen Plätzen der Stadt spielen Musikgruppen auf, es wird getanzt, gelacht und gefeiert.
Wer das noch nicht erlebt hat, hat eindeutig etwas verpasst. In meinem Krimi "Mallorquinische Leiche zum Sa Rua" lasse ich die Leser teilhaben an dem närrischen Brauch, der auch auf Mallorca einer alten Tradition folgt. Caterina Valriu, eine Professorin für katalanische Philologie an der Balearen-Universität ist Autorin eines Standardwerks über den Insel-Karneval: „El carnaval a Mallorca".
Seit dem 17. Jahrhundert ziehen zur Karnevalszeit auf dem Land Jugendliche von Haus zu Haus, um ihre Nachbarn mit derben Scherzen zu ärgern. Mit Mehl, Wasser und Eiern bewaffnet klopfen sie an die Tür, wer öffnet, wird "eingeseift". Rund um Felanitx kann es bis heute passieren, dass Haustüren mit Lehm beschmissen werden.
Diese Karnevalsbräuche entstanden im katholischen Europa als Akt der Ungehorsamkeit gegenüber Sitten und Obrigkeit und erreichten im 17. Jahrhundert ihren Höhepunkt.
Allerdings veränderte sich der Brauch je nach Region stark. Auf Teneriffa wurde der Einfluss Lateinamerikas sichtbar, wo die Umzüge immer prächtiger wurden. In ärmeren Regionen wie auf Mallorca blieb das närrische Treiben eher auf derbe Scherze und einfache Verkleidung beschränkt. George Sand, die Geliebte des Komponisten Frédéric Chopin, hob in ihrem Buch 'Ein Winter auf Mallorca' hervor, wie sie in der Kartause von Valldemossa eine Karnevalsfeier „reicher Bauern und Halbbürgerlicher" aus dem Dorf erlebte – sie fand sie schrecklich: „hässliche und eklige Masken, unerträgliches Kastagnetten-Geklapper und monotoner Singsang". Sie war aus dem mondänen Paris wohl anderes gewöhnt …
Ende des 19. Jahrhunderts begannen Bürger und Aristokraten in Palma die ersten Karnevalsumzüge zu organisieren. Diese „ruas“ verbreiteten sich nach und nach auch in den Insel-Dörfern. Allerdings wurden die Umzüge spontan von den Menschen selbst organisiert, heute passiert das durch das Rathaus.
Neben dem Straßenkarneval hatte sich eine zusätzliche Tradition etabliert, die heute auf Mallorca im Gegensatz zu Wien und Venedig leider ausgestorben ist. Die Veranstaltung von Bällen. „Die Leute machten sich fein, wobei sich die Frauen, nicht aber die Männer Masken anzogen", so Valriu. Männer ließen Frauen kleine Geschenke zukommen, um sie kennenzulernen, miteinander anzubandeln. Würde das in Zeiten von #metoo noch funktionieren? Wohl eher nicht …
Bei den Umzügen war es früher üblich, sich über Politiker und Prominente lustig zu machen. Den faschistischen Putschisten um Francisco Franco war das zu viel aufrührerisches Potenzial. Also verboten sie 1940 kurzerhand das närrische Treiben. Nur der Kinderkarneval durfte bleiben …
Nach Francos Tod 1975 wurden die Umzüge wieder zugelassen, doch das närrische Treiben hatte sich geändert. Die Kritik an der herrschenden Klasse, wie sie im rheinischen Karneval oder bei den Faschingsumzügen in Österreich nach wie vor gepflegt wird, kam in Mallorca nicht wieder auf. Jetzt zählen mehr die hübschen, bunte Kostüme. Aber auch das ist sehenswert und zeigt die Mallorquiner von ihrer vergnüglichen Seite. Ein MUSS für jeden Mallorca-Liebhaber!
Infos aus "Mallorca Zeitung" von 8.2.2018 "Karneval auf Mallorca: bäuerliche Scherze und bürgerliche Tänze".
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